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Zusammenhang zwischen Einnahme der Kombinationspille und erhöhtem Depressionsrisiko

Eine dänische Studie von Juni 2023 zeigt einen Zusammenhang zwischen der Einnahme der Kombinationspille und dem Risiko, an Depressionen zu erkranken. Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG), vereint im German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG), machen in Ihrer gemeinsamen Stellungnahme deutlich: Neben der Einnahme der Kombinationspille spielen auch soziodemographische Faktoren für das Risiko eine Rolle, an Depressionen zu erkranken. Das Risiko für Depressivität bei der Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln wird bei der individuellen ärztlichen Kontrazeptionsberatung berücksichtigt.

Die im Juni 2023 im Epidemiology and Psychiatric Sciences veröffentlichte Studie von T. Johansson et al. zeigt einen Zusammenhang zwischen der Einnahme der Kombinationspille und dem Risiko des Auftretens für Depressivität auf.

Für das GBCOG: Prof. Dr. Thomas Römer, Prof. Christian J. Thaler, Prof. Dr. Joseph Neulen

Die schwedische Studie betrachtet das weibliche Patientenklientel der UK Biobank und stellt den Zusammenhang zwischen oral angewendeten hormonellen Verhütungsmitteln und Auswirkungen auf die psychische Gesundheit her. Die UK Biobank ist eine große Datenbank mit über 500.000 Teilnehmern im Alter von 40 bis 69 Jahren, die zwischen 2006 und 2010 aktiv rekrutiert wurden. Sie ermöglicht die Durchführung prospektiver Observationsstudien (1). In der aktuellen Studie analysierten Therese Johansson und Kollegen von der Universität Uppsala die Daten von 264.557 Frauen aus der UK Biobank. Durch Interviews sowie stationäre Krankenhaus- oder Primärversorgungsdaten wurde die Inzidenz depressiver Episoden ermittelt (2).

  • Bei den betrachteten oralen Kontrazeptiva handelte es sich um kombinierte Präparate mit einer Gestagen- und einer Östrogenkomponente (Kombinationspille).
  • Die Einnahme der Kombinationspille war in den ersten 2 Jahren nach Einnahmebeginn mit einem um 73 Prozent erhöhten Risiko assoziiert.
  • Frauen, die bereits im Jugendalter mit der Einnahme der Pille begannen, hatten mit 130 Prozent die höchste Inzidenz depressiver Symptome, der Risikoanstieg fiel bei erwachsenen Frauen mit 92 Prozent geringer aus.
  • Das erhöhte Auftreten von Depressionen ging zurück, wenn die Frauen die Pille weiter einnahmen.
  • Bei jugendlichen Anwenderinnen wurde auch nach Absetzen der Pille ein erhöhtes Auftreten von Depressionen beobachtet, dass sich bei initialer Anwendung im Erwachsenenalter nicht zeigte.

Die Studie bestätigt die Daten der dänischen Registerstudie von Skovlund et al., die im November 2016 im JAMA Psychiatry veröffentlicht wurde, wonach es insbesondere bei Jugendlichen unter der initialen Anwendung (Erstanwendung) von kombinierten oralen Kontrazeptiva zu depressiven Stimmungsveränderungen bis hin zu Depressionen kommen kann (3).
Sie unterstützt die in der deutschen S3-Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung von 2019 gegebenen Empfehlungen an Ärztinnen und Ärzte, das Hauptaugenmerk der Therapieüberprüfung im Hinblick auf eine depressive Symptomatik besonders auf Jugendliche nach dem Beginn einer hormonellen Kontrazeption zu richten. Dies gilt insbesondere bei Patientinnen, die eine familiäre Vorgeschichte haben bzw. in der Familien- oder Eigenanamnese diesbezüglich belastet sind (4).
Auch der Warnhinweis im Rote-Hand-Brief zu hormonellen Kontrazeptiva sensibilisiert seit 2019 Angehörige der Heilberufe, solche Patientinnen ggf. auch kurzfristig zu kontrollieren und sie darüber zu informieren, ihre Ärztin oder ihren Arzt aufzusuchen, sobald Stimmungsveränderungen und depressive Symptome auftreten (5).

  • Die Daten der UK Biobank sind für einen Zeitraum Ende der 1970 und über die 1980er Jahre lediglich retrospektiv erfasst und nur zum Teil durch Gesundheitsakten abgesichert.
  • Die Datenbank umfasst einige Lifestyle-Daten (u.a. Rauchen, BMI, Familienanamnese bzw. familiäre Vorgeschichte zu depressiven Erkrankungen). Relevante Daten zu den Lebensumständen (z.B. soziale Sicherheit, Partnerschaftsprobleme, Lebenszufriedenheit), die bekanntermaßen als wichtige Einflussfaktoren für die Entwicklung von Depression gelten, sind nicht erfasst – sie bleiben in der Auswertung unberücksichtigt.
  • Offenbar sind die Studienteilnehmerinnen unter der primären Auswahl „Depression“ mit der Anwendung von oralen Kontrazeptiva (ever use vs. never use) analysiert worden, was die Aussagekraft der Untersuchung auf diese Gruppen reduziert.
  • Die Studie liefert keine differenzierten Aussagen, welche hormonellen Kontrazeptiva (Komponenten der Kombinationspille, Gestagen-Monopräparate) besonders betroffen sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich aufgrund des Zeitrasters hauptsächlich um oralen Kontrazeptiva der 2. Generation handelt. Die Studie lässt daher insbesondere Aussagen vermissen, inwieweit heutige modernere hormonelle Kontrazeptiva z.B. mit der Östrogenkomponente Estradiol, einen vergleichbaren Effekt haben.
  • Die Studie steht im Kontrast zu Untersuchungen, die (allerdings in kleineren Gruppen), ihr Augenmerk gezielt auf „menstruationsgetriggerte“ Depressionen gerichtet haben, und keinen Zusammenhang bzw. sogar eine Verbesserung von Depressionen zeigten.
  • Die Studienautoren benennen weitere Grenzen ihrer Studie, demnach waren:
    • Angaben zum Alter bei Beginn oder Ende der OC-Nutzung aufgrund der Selbstberichte nicht einheitlich,
    • es gibt keine gesicherten Informationen dazu, ob die Pilleneinnahme zwischenzeitlich unterbrochen wurde,
    • bei den Daten zur Familiengeschichte handelt es sich um selbstberichtete Beobachtungen der Studienteilnehmerinnen, und damit möglicherweise um eine Verzerrung der Daten zur Familienanamnese,
    • Das Patientenklientel besteht aus einer spezifischen Gruppe europäischer Patientinnen mit höherem sozialem Niveau.

Zusammenfassend lässt sich allgemein festhalten:

Depressionen können schwerwiegend sein und sind ein allgemein bekannter Risikofaktor für suizidales Verhalten und Suizid. Mit einer Jahresinzidenz von 2 auf 100 Personen, gehören Depressionen zu den häufigsten Erkrankungen, das Risiko im Laufe des Lebens zu erkranken liegt bei 16-20%. (4).
Verschiedene soziodemographische Faktoren sind mit der Prävalenz und Inzidenz depressiver Störungen assoziiert: So erkranken Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer und die Ersterkrankung tritt früher auf (5).

Die Erkrankungsraten in jüngeren Altersgruppen sowie in Kindheit und Adoleszenz nehmen zu (5).
Der Familienstand und das Vorhandensein bzw. Fehlen einer vertrauensvollen persönlichen Beziehung sind als Protektiv- bzw. Risikofaktoren bei unipolaren Depressionen gesichert (5).

Depressionen und auch depressive Verstimmungen sind bekannte Nebenwirkungen hormoneller Kontrazeptiva. Das höchste Risiko besteht bei Beginn der Einnahme im Jugendalter, bei erwachsenen Frauen fällt es geringer aus.

Vorhandene Gebrauchs- und Fachinformationen weisen auf diese mögliche unerwünschte Nebenwirkung bei der Einnahme hin, die Aufklärung darüber ist fester Bestandteil der Kontrazeptionsberatung (6).

Der Fokus auf Depressionsrisiken ist – neben andere Risiken – ein wichtiger, aber kein ausschließlicher Faktor, der bei der Verordnung von hormonellen Kontrazeptiva berücksichtigt werden muss.

Zusätzliche Studiendaten eröffnen eine präzisere Einschätzung der Risiken für bestimmte Gruppen.

Eine verstärkte Aufmerksamkeit bei Anwenderinnen auf die Kontrazeption und mögliche Unverträglichkeiten, ist aus gynäkologischer Sicht eine sehr positive Entwicklung. Hingegen ist der zu beobachtende Rückgang der Anwendung von sicheren hormonellen Kontrazeptionsmethoden (7) aus gynäkologischer Sicht eher kritisch zu sehen.

Die Abwägung von Nutzen und Nachteilen und die Entscheidung von Anwenderinnen für eine Kontrazeptionsmethode setzt einen guten Kenntnisstand voraus.
Die ärztliche Beratung gilt als wesentlicher Bestandteil in der Auseinandersetzung mit Verhütung, sie ist als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung im Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) verankert.

Ärztliche Aufgabe der Kontrazeptionsberatung ist es, durch qualifizierte Aufklärung und Unterstützung sowie eine individuelle Risikobewertung, den Anwenderinnen zu einer informierten Entscheidung bei der Wahl einer Verhütungsmethode zu verhelfen. Teil dieses Prozesses ist auch, individuelle Sorgen, Beschwerden und Ängste von Anwenderinnen ernst zu nehmen und zu besprechen.

Quellen:

  1. Cathie Sudlow et al. «UK Biobank: An Open Access Resource for Identifying the Causes of a Wide Range of Complex Diseases of Middle and Old Age», PLoS Med. 2015 Mar; 12(3), Published online 2015 Mar 31. doi: 10.1371/journal.pmed.1001779
  2. T. Johansson et al. «Population-based cohort study of oral contraceptive use and risk of depression, in: «Epidemiology and Psychiatric Sciences», Juni 2023
  3. C. Skovlund et al. «Association of Hormonal Contraception With Depression», in «JAMA Psychiatry», November 2016
  4. S3-Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung, AWMF-Registernummer 015/015; 2019
  5. S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression, AWMF-Registernummer nvl – 005; 2022
  6. Rote-Hand-Brief zu hormonellen Kontrazeptiva, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Januar 2019
  7. BZgA-Befragung Verhütungsverhalten Erwachsener (2018)

Für das GBCOG,
Prof. Dr. med. Thomas Römer (Köln), Prof. Christian J. Thaler (München), Prof. Dr. Joseph Neulen (Aachen)