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Bei Diskussion um Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) ist Sachlichkeit notwendig

Der BVF möchte betonen, dass es der Berichterstattung zu IGeL-Angeboten in gynäkologischen Praxen oft und nachweislich an Sachlichkeit mangelt und ein derartiges Vorgehen zu erheblicher Verunsicherung bei Patientinnen beiträgt.

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Individuelle Gesundheitsleistungen – kurz IGeL – sind Leistungen, für welche die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nicht leistungspflichtig sind. Die Regelversorgung – orientiert am Sozialgesetzbuch V – ist darauf begrenzt, eine notwendige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftlich angemessene Versorgung zu gewährleisten. Die Gründe für den Ausschluss von medizinischen Leistungen aus der gesetzlichen Erstattungspflicht sind unterschiedlich. Es kann sich um Leistungen handeln, bei denen es sich nicht um die Behandlung einer Krankheit handelt, die vom G-BA wegen fehlenden Nutzens – auch mit Blick auf das finanzierbare Solidarprinzip der Versichertengemeinschaft – nicht in den Leistungskatalog aufgenommen wurden oder über deren Aufnahme in den Leistungskatalog noch nicht entschieden wurde.
Im deutschen Gesundheitssystem ist es eine zentrale Herausforderung die allgemeine Versorgung einer zunehmend alternden Bevölkerung grundlegend zu sichern und bei steigenden Ausgaben und gleichzeitig sinkenden Einnahmen (Demografie) die Wirtschaftlichkeit zu wahren.

Mit der Einführung von IGeL wurde daher eine Möglichkeit geschaffen, Leistungen für Patientinnen und Patienten anzubieten, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sind. Gynäkologische Praxen können Frauen, die den Anspruch an eine medizinische Versorgung haben, die über den Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung hinausgeht, zur Verfügung stellen. Der BVF vertritt die Auffassung, dass Frauen sehr wohl in der Lage sind, Vor- und Nachteile für sich selbst abzuwägen und eine autonome Entscheidung über diagnostische Maßnahmen zu treffen. Eine sachliche Patientenaufklärung beim Umgang mit IGe-Leistungen, die Missverständnisse vermeidet, befürwortet der BVF seit Jahren ausdrücklich. Einen klar verständlichen und offiziellen Leitfaden zu Selbtszahler-Leistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen – IGeL) haben die Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung als „IGeL-Ratgeber“ in einer gemeinsamen Fassung für alle Beteiligten, also Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten herausgegeben.

Transvaginaler Ultraschall – eine detaillierte umfassende Untersuchung der weiblichen Beckenorgane

Der IGeL-Monitor thematisiert u.a. die IGe-Leistung „Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung“ auf seiner Website. Die zugehörigen Berichterstattungen erwecken fälschlicherweise den Eindruck, ein Großteil der Gynäkologinnen und Gynäkologen würde diese Untersuchung zur Früherkennung von Krebs am Eierstock isoliert anbieten und bewerben. Die faktische Angebotssituation ist in den allermeisten Fällen aber eine andere: Bei der „Transvaginalen Sonografie“ handelt es sich um eine umfassende Ultraschall-Untersuchung des kleinen Beckens – also um eine Angebot, dass ein viel größeres Erkrankungsspektrum abdeckt.

Als komplettierende Erweiterung der gynäkologischen Routineuntersuchungen (Inspektion und Palpation) ist der transvaginale Ultraschall ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel im Praxisalltag. Der transvaginale Ultraschall wird – wie auch der Ultraschall der Brust – von den gesetzlichen Krankenkassen nur dann honoriert, wenn ein konkreter Krankheitsverdacht besteht – also etwa Symptome oder insbesondere ein auffälliger Tastbefund vorhanden sind. Frauenärztinnen und -ärzte können diese Leistung daher aufgrund der geltenden Abrechnungsregularien ohne konkreten Krankheitsverdacht nur als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) zur Verfügung stellen.

Der transvaginale Ultraschall ist eine umfassende Ultraschalluntersuchung des „kleinen Beckens“. Sie schließt die Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Harnblase und die Zwischenräume zwischen Harnblase, Vagina und Darm bis zu Strukturen des Beckenbodens ein. Diese Untersuchung stellt eine Ergänzung der gynäkologischen Routineuntersuchungen dar, der Fokus liegt auf einer zeitnahen und nicht-invasiven Diagnostik von häufigen funktionellen und gutartigen Veränderungen sowie gynäkologischen Problemen.

Im Ultraschall können sich eine Vielzahl von Erkrankungen zeigen, wie etwa Myome, Endometriose, Zysten oder Flüssigkeitsansammlungen. Man kann mit dieser Untersuchung auch Veränderungen entdecken, die noch keine Symptome verursachen und auch einem Tastbefund gar nicht zugänglich wären. Eine mögliche Behandlung orientiert sich dann an individuellen Faktoren wie u.a. Beschwerdebild, der Einschätzung des Komplikations- und auch Entartungsrisikos und dem anzunehmenden weiteren Verlauf.
Das Hauptargument für die Diagnostik durch transvaginale Sonografie ist gerade nicht die Früherkennung des Ovarialkarzinoms außerhalb eines Risikokollektivs. Vielmehr visualisiert diese Untersuchungsmethode gut das gesamte kleine Becken und ist differenziert eingesetzt ein sehr wichtiges Kriterium in der gynäkologischen Befunderhebung. Dies gilt insbesondere bei Frauen, bei denen eine alleinige Tastuntersuchung aufgrund körperlicher Disposition schwierig ist. Also bei mehrgewichtigen Mädchen und Frauen sowie bei solchen, bei denen durch verstärkten Muskeltonus  der Bauchdecke kein eindeutiger Tastbefund für eine Diagnosestellung möglich ist.

Die generelle Behauptung, ein Ultraschall würde unnütze Operationen nach sich ziehen, ist schlichtweg falsch, verkennt die fachärztlichen Qualifizierungsprozesse sowie das Vorgehen, dass vor einer solchen invasiven Intervention im Krankenhaus zunächst – ebenfalls per Ultraschall und gegebenenfalls weiterer bildgebender Verfahren – die OP-Indikation überprüft wird; es gilt also das 4-Augen-Prinzip.

Es findet sich zunehmend auch Evidenz für die herausragenden Möglichkeiten der Endometriose-Diagnostik mittels Ultraschall.

Weitere IGe-Leistungen in gynäkologischen Praxen:

Gynäkologische Praxen stellen eine Reihe weiterer IGeL-Angebote zur Verfügung – darunter viele Leistungen, die von wissenschaftlichen Fachgesellschaften und in Leitlinien empfohlen sind, weil Patientinnen durch Untersuchungsergebnisse einen individuellen Vorteil haben können. Dazu zählen z.B. auch vorsorgliche (Routine-)Untersuchungen bei Schwangeren, die nicht in die Mutterschaftsrichtlinie (Mu-RL) integriert sind, wie z.B.

  • eine Testung auf Zytomegalie (CMV), Toxoplasmose oder Listerien,
  • eine B-Streptokokken-Test in der 35. bis 37. Woche vor der Entbindung,
  • ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) als primäre Abklärung eines Gestationsdiabetes mellitus (GDM),
  • ein Präeklampsiescreening.

Einige Krankenkassen unterhalten in einigen Bundesländern auch sogenannte Selektivverträge – Sonderverträge die Leistungen enthalten, die über die Regelversorgung hinausgehen.
Patientinnen haben individuelle Sicherheitsbedürfnisse. Durch geeignete Aufklärung kann Patientinnen geholfen werden, für sich ganz persönlich abzuwägen, welche zusätzlichen Leistungen zu mehr Sicherheit führen. Weitere Angebote an IGe-Leistungen in gynäkologischen Praxen sind:

  • Mammasonographie
  • Abstriche zur Krebsfrüherkennung außerhalb der Krebsfrüherkennungsrichtlinie (z.B. zwischen den Intervallen)
  • HPV-Impfungen im höherem Lebensalter oder zur Postkonisationsprophylaxe
  • Screening auf Geschlechtskrankheiten
  • Blutentnahme
  • Hormonscreening
  • Ärztliches Attest für eigene Zwecke (bspw. Flugreisen)

Eine sachliche Diskussion und fundierte Aufklärung über Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sind essenziell, um Patientinnen die Möglichkeit zu geben, eigenständig und informiert über sinnvolle Ergänzungen der Regelversorgung zu entscheiden – denn gerade Leistungen wie der transvaginale Ultraschall oder spezielle Tests in der Schwangerschaft können individuell (nicht für die Gesamtbevölkerung, aber für die persönliche Situation) einen wertvollen Beitrag zur frühzeitigen Diagnostik und zum Sicherheitsgefühl leisten.