Gesetzlicher Hintergrund: Erweitertes Schutzkonzept
Bislang hatten Frauen nach Fehlgeburten vor der 24. Schwangerschaftswoche keinen Anspruch auf Mutterschutz. Die neue Fassung des § 3 Abs. 5 Mutterschutzgesetz (MuSchG) sieht nun folgende gestaffelte Schutzfristen bei Fehlgeburten vor:
1) bis zu 2 Wochen bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche
2) bis zu 6 Wochen bei einer Fehlgeburt ab der 17. Schwangerschaftswoche
3) bis zu 8 Wochen bei einer Fehlgeburt ab der 20. Schwangerschaftswoche.
In § 2 Abs. 6 MuSchG wird der Begriff „Entbindung“ zudem präzisiert: „Eine Entbindung ist eine Lebend- oder eine Totgeburt. Die Regelungen zur Entbindung finden im Falle einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche entsprechende Anwendung.
Ein angemessener Mutterschutz nach Fehlgeburt soll sicherstellen, dass sich Betroffene erholen können und mögliche gesundheitliche Komplikationen vermieden werden, er bietet aber auch arbeits- und sozialrechtlich mehr Sicherheit. Um das Selbstbestimmungsrecht dieser Frauen zu respektieren und ihnen die Teilhabe an der Erwerbstätigkeit zu erhalten, soll das Beschäftigungsverbot nach Fehlgeburt nur dann greifen, wenn sich die Frau nicht ausdrücklich zur Arbeitsleistung bereit erklärt. Das bedeutet, betroffene Frauen können sich entweder auf den neu geregelten, gesetzlich vorgegebenen Mutterschutz berufen, sie haben aber auch weiterhin die Möglichkeit, einer individuellen Krankschreibung oder der Teilhabe an der Erwerbsarbeit.
Berechnung der Schwangerschaftswoche
Eine wesentliche Umsetzungsfrage bestand zunächst darin, wie die Schwangerschaftswoche (SSW) im Kontext der neuen Schutzfristen zu berechnen ist. Weder der Gesetzestext noch die Begründungen enthielten klare Vorgaben.
Klarheit bringt nun die Antwort auf die Anfrage des Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) an den vom Bundesfamilienministerium eingerichteten Ausschuss für Mutterschutz: Die SSW-Berechnung erfolgt – wie medizinisch üblich – post menstruationem (p.m.), also ab dem ersten Tag der letzten Menstruation. Dies entspricht der bisherigen Berechnungsgrundlage für Entbindungstermine sowie dem arbeitsrechtlichen Umgang mit den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzfristen.
Welcher Zeitpunkt gilt als maßgeblich für die Feststellung der Fehlgeburt?
Eine in der gynäkologischen Praxis besonders relevante Frage betrifft die Feststellung des maßgeblichen Zeitpunkts der Fehlgeburt – insbesondere in Fällen einer missed abortion, bei der die Diagnose eines intrauterinen Fruchttodes häufig Tage vor der tatsächlichen Beendigung der Schwangerschaft gestellt wird.
Diese Differenzierung ist entscheidend für die Berechnung der Schutzfristen nach § 3 Abs. 5 MuSchG sowie für die Anwendung des Kündigungsschutzes gemäß § 17 MuSchG.
Zwar erfolgt die medizinische Feststellung einer missed abortion in der Regel durch Ultraschall, jedoch ist dieser Diagnosezeitpunkt nicht als juristisch maßgeblicher Zeitpunkt der Fehlgeburt anzusehen. Entscheidend ist vielmehr, wann die tatsächliche Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib erfolgt – entweder durch einen spontanen Abgang oder durch einen medikamentösen bzw. operativen Eingriff.
Diese Auslegung entspricht sowohl der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als auch der Kommentarliteratur zu § 17 MuSchG , der den Kündigungsschutz während Schwangerschaft, nach Fehlgeburt und nach der Entbindung regelt.
„Bei Fehlgeburten bis zum Ablauf der 12. Schwangerschaftswoche (196. Tag vor dem errechneten Geburtstermin) endet dagegen – wie bisher – der infolge der Schwangerschaft zunächst bestehende Kündigungsschutz mit der Fehlgeburt, d. h. mit der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib.” (1)
Das Bundesarbeitsgericht (2) weist darauf hin, dass der Kündigungsschutz bei Fehlgeburt nicht mit der bloßen Diagnose des intrauterinen Fruchttodes endet, sondern erst mit dem Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib:
„Eine sicher diagnostizierte missed abortion muss mit einem artifiziellen Abort therapiert werden, um mögliche letale Komplikationen – etwa das Dead-Fetus-Syndrom – zu vermeiden. Auch medizinisch ist die Schwangerschaft daher erst mit der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib beendet.“
Somit steht fest: Bei einer missed abortion ist als maßgeblicher Zeitpunkt der Fehlgeburt der Tag des spontanen oder medikamentös oder operativ erfolgten Abgangs anzusetzen – nicht der Zeitpunkt der Diagnosestellung.
Fehlende Formulare: Übergangslösung zur ärztlichen Bescheinigung
Ein weiteres praktisches Problem: Es existiert bislang kein offizielles Vordruckformular, das die Fehlgeburt im Sinne des Mutterschutzgesetzes bescheinigt. Das bisherige Muster Nr. 9 der Vordrucksvereinbarung(3) sieht nur die Bescheinigung einer Frühgeburt oder Behinderung des Kindes vor. Der Gesetzgeber hat ebenfalls keine Regelung vorgesehen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat am 2. Juni 2025 reagiert: In Abstimmung mit dem GKV-Spitzenverband wurde ein Übergangsformular zur ärztlichen Bescheinigung entwickelt. Dieses ist auf der Website der KBV abrufbar (https://www.kbv.de/html/1150_74968.php) und soll bis zum 31. Dezember 2025 gültig sein. Damit wäre zumindest vorübergehend eine rechtssichere Bescheinigung möglich. Der Abstimmungsprozess ist jedoch im Gange.
Der BVF wird die weiteren Entwicklungen begleiten und seine Mitglieder über neue Vorgaben oder Praxishilfen informieren.
FAQ zum Mutterschutz nach Fehlgeburt (ab 13. SSW) – Gültig seit 1. Juni 2025
1. Ab wann besteht Anspruch auf Mutterschutz nach einer Fehlgeburt?
Seit dem 1. Juni 2025 besteht bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche (SSW) ein gestaffelter Anspruch auf Mutterschutz gemäß § 3 Abs. 5 MuSchG:
- ab 13. SSW: bis zu 2 Wochen Mutterschutz
- ab 17. SSW: bis zu 6 Wochen Mutterschutz
- ab 20. SSW: bis zu 8 Wochen Mutterschutz
2. Wie wird die Schwangerschaftswoche für den Mutterschutz berechnet?
Die Berechnung erfolgt post menstruationem (p.m.), also ab dem ersten Tag der letzten Regelblutung. Dies entspricht der üblichen medizinischen Praxis und der Grundlage für mutterschutzrechtliche Regelungen.
3. Welcher Zeitpunkt gilt als maßgeblich für die Feststellung einer Fehlgeburt?
Entscheidend ist nicht der Diagnosezeitpunkt (z. B. bei missed abortion), sondern der tatsächliche Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib – entweder:
- durch spontanen Abgang,
- durch medikamentösen Abbruch oder
- durch operative Beendigung.
4. Welche arbeitsrechtlichen Folgen hat die neue Regelung?
Frauen erhalten arbeits- und sozialrechtliche Sicherheit:
- Ein Mutterschutzanspruch nach Fehlgeburt besteht, aber
- die Frau kann auf eigenen Wunsch arbeiten, sofern sie sich ausdrücklich bereit erklärt.
- Alternativ ist auch weiterhin eine Krankschreibung möglich.
5. Gibt es ein offizielles Formular zur Bescheinigung des Mutterschutzes nach Fehlgeburt?
Übergangsweise gibt es ein temporäres Formular von der KBV in Abstimmung mit dem GKV-Spitzenverband.
Es ist auf der Website der KBV abrufbar: https://www.kbv.de/html/1150_74968.php
Quellenangaben:
- Roos/Bieresborn/Kaltenstein Hrsg./ Kommentar zum Mutterschutzgesetz, Luchthandverlag, 2023 § 17 MuSchG Rn. 30)
- BAG vom 12.12.2013, Az. 8 AZR 838/12
- https://www.kbv.de/media/sp/02_Vordruckvereinbarung.pdf